Zum Gastbeitrag „Meinungsfreiheit muss gelernt werden“ von Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, Mitteldeutsche Zeitung vom 25.01.2018:

„Meinungsfreiheit muss gelernt werden“ – unter dieser Überschrift hat der ehemalige Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt einen Gastbeitrag in der MZ veröffentlicht. Dieser Satz gilt nicht nur für die Meinungsfreiheit, sondern für die Freiheit überhaupt. Darauf wird noch einzugehen sein.

Der Text beginnt mit dem Luxemburg-Zitat „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ und der Feststellung, dieser Satz gelte auch heute noch. Prof. Böhmer hat sich hier von der linksideologischen, inflationären Verwendung des Zitats hinters Licht führen lassen und nicht die Frage gestellt: Wie kann dieses in Stein gemeißelte Diktum aus der Feder einer Kommunistin stammen? Sie war ja konsequente Apologetin der Diktatur des Proletariats – also nichts mit Freiheit.
Die Wahrheit liefert die Geschichte, sofern man sie richtig liest: Der Satz steht in Rosa Luxemburgs Aufsatz „Die russische Revolution“. Sie bezog sich dort auf von der bolschewistischen Linie abweichende linke Positionen, also auf irgendwie anders links Denkende.

Keinesfalls dachte sie daran, Freiheit wirklich Andersdenkenden, zum Beispiel Konservativen, zuzugestehen. Nicht einmal Sozialdemokraten. Hier bröckelt der Stein. Man sollte ergänzend das folgende Luxemburg-Zitat hinzufügen: „Wer sich dem Sturmwagen der sozialistischen Revolution entgegenstellt, wird mit zertrümmerten Gliedern am Boden liegen bleiben.“ Der ehemalige Ministerpräsident geht in seinem Beitrag also von falschen Voraussetzungen aus. Und er legt in seinen weiteren Ausführungen Zeugnis davon ab, wie nahe er dem diktatorisch geprägten, demokratiefeindlichen Freiheitsbegriff Rosa Luxemburgs steht: „Verständnis habe ich dafür, wenn zum Beispiel Polizisten untersagt wird, privat bei einer AfD-Demonstration mitzumarschieren. Da darf die Polizeiführung schon fragen, wie das mit dem Verständnis vom Grundgesetz vereinbar ist.“

Die Aussage ist so unglaublich, daß man sie mehrfach lesen muß. Hier spricht kein angetrunkener Stammtisch-Linker, hier spricht der Landesgroßvater. Er argumentiert nicht, begründet nicht, legt einfach fest: Durch beruflichen Druck auf ausgewählte Personenkreise ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einzuschränken. Gottseidank nicht als Ministerpräsident. Eben nur als Landesgroßvater.

Er erläutert nicht, warum seine Aussage nicht für die SPD gilt, die spätestens seit 2015 in fröhlicher Eintracht mit seiner CDU immer wieder das Grundgesetz bricht. Oder für Die Linke. Oder für Bündnis 90/Grünen. Aber seine Aussage legt Zeugnis darüber ab, daß ein so armseliger Freiheitsbegriff nicht zu trennen ist von erbärmlichen Verhaltensweisen, die gern umgedeutet werden in „Zivilcourage“ oder „Breites Bündnis gegen Rechts“: Blockwartmentalität und Gesinnungsschnüffelei.

Die Weisheit als Privileg des Alters schützt nicht vor der Torheit. Darum ist es so schwer, im rechten Moment zu schweigen.