Am 14. Juni 2022 hat der BGH per Urteil entschieden, daß die „Judensau“-Plastik als Teil einer Stätte der Mahnung an der Wittenberger Stadtkirche bleiben darf.

Anstelle des jahrelangen Streits hätten nun Ruhe und Frieden einkehren können. Bei dem zum Judentum konvertierten streitsüchtigen Rechthaber Düllmann, der sich seit seiner Konversion Michael nennt, ist in dieser Angelegenheit auf Einsicht nicht zu hoffen. Er erwartet von allen Juden dieser Welt, daß sie das Relief ohne religionsgeschichtliche Wertung als Beleidigung empfinden; er wird sich weiter auf dem Rechtsweg als unbelehrbarer Eiferer verwirklichen. Seine Haltung wird konterkariert durch jüdische Stimmen zur Problematik, die offensichtlich mehrheitlich den Verbleib im Rahmen eines Mahnmals befürworten.[1]

Im Juli 2022, also nach dem BGH-Urteil, empfahl ein vom Gemeindekirchenrat (GKR) eingesetzter Expertenbeirat die Entfernung und die kommentierte Ausstellung der Skulptur in unmittelbarer Nähe. Zum Glück folgte der GKR dieser Empfehlung nicht und beschloß den Erhalt als Bestandteil der Stätte der Mahnung.[2]

Diese dem Urteil folgende Entscheidung führte zu Äußerungen der Verärgerung und des Unverständnisses von erwartbarer Seite. So von der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. In ihrem Diskursbeitrag „Beschluß führt zu Irritationen“ vom 26.10.2022 wird der Akademiedirektor Christoph Maier, Mitglied des Expertenbeirats, zitiert: „Wir sind der festen Überzeugung, daß das Gedenkensemble auch ohne das Zeigen der judenfeindlichen Plastik auskommt. […]“. Das kann man sich nur schwer vorstellen. Aber es geht eben darum, „[…] das judenfeindliche Schmährelief […] der öffentlichen Sichtbarkeit zu entziehen […], um es unweit der Kirche in einen Lernort zu intgrieren. […]“ .[3] D.h. der Besucher kann die der „öffentlichen Sichtbarkeit“ entzogene Plastik nicht mehr sehen; er ist als Betrachter außer Gefecht gesetzt und seiner Mündigkeit beraubt; seine anschließende Wertung des Zusammenhanges Plastik an der Kirche/Mahnmal ist nicht mehr möglich.

Aber gleich in der Nähe ist ja der „Lernort“; da wird dem zu eigener Beurteilung Unfähigen dann beigebracht, wie das seit dem Mittelalter war und bis heute ist mit der „judenfeindlichen Schmähplastik“. Der Lernwillige wird Opfer ideologisch infiltrierter Pädagogik.

Die zumindest von der Evangelischen Akademie gewünschte Ausrichtung des „Lernortes“ wird deutlich, wenn man sich die Wortwahl in den oben genannten Texten ansieht. Die Plastik wird ausschließlich als „judenfeindliches Schmährelief“ oder „judenfeindliches Bildmotiv“ bezeichnet, und zwar in ständiger Wiederholung. Neutrale, ideologisch nicht befrachtete Begriffe wie Plastik oder Relief, die andere religionsgeschichtliche Deutungen zuließen, werden kaum verwendet. Die Deutungshoheit ist vergeben.

Die Orwellsche Beeinflussung des Denkens durch die dauernde Wiederholung der genannte Begriffe wird im Faltblatt der Evangelischen Akademie „Stätte der Mahnung – Die judenfeindliche Schmähplastik an der Stadtkirche in Wittenberg“ vom Oktober 2022 fortgesetzt. Sie gipfelt in der Behauptung, Judenhaß habe christliche Wurzeln. Auch der Zweck der Plastik, seit dem Anbringen ca. 1290 als „judenfeindliche Schmähplastik” zu dienen, wird lediglich behauptet.

Aber Behauptungen werden nicht zu Wahrheiten durch ihre ständige Wiederholung. Es wird an keiner Stelle auf die kunsthistorischen Untersuchungen von Dr. Mario Titze und die Forschungen von Dr. Insa Christiane Hennen eingegangen, die zu anderen Schlüssen kommen. [4]

Nirgends werden der künstlerische Wert der Plastik und ihr Bedeutungswandel seit dem Jahr 1570 thematisiert. Eine Akademie sollte sich bei ihrer Arbeit von wissenschaftlichen Grundsätzen leiten lassen. Dazu gehört der Zweifel.

Die Evangelische Akademie zweifelt nicht einmal an ihren konstruierten Wahrheiten. Vielleicht liegt die ideologisch verkrampfte Argumentation daran, daß das erwähnte Faltblatt nicht von einem Theologen, sondern von einem jungen Politikwissenschaftler erdacht wurde. Ohnehin sind in der Studienleitung der Akademie mehr Politikwissenschaftler als Theologen beschäftigt. Eine korrigierende Durchsicht des Textes hinsichtlich religionsgeschichtlicher Aspekte war wohl nicht beabsichtigt.

Für eine evangelische und damit christliche Akademie ist es ungeheuerlich, undifferenziert die christlichen Wurzeln des Judenhasses und ihr Wirken in der Gegenwart zu behaupten. Die radikale Formulierung unterstellt, mit dem Entstehen des Christentums sei auch der Judenhass entstanden. So einfach ist die Angelegenheit nicht: Die französische Rabbinerin Delphine Horvilleur weist in ihrem Essay „Überlegungen zur Frage des Antisemitismus“ nach, daß der Haß auf Juden existiert, seit es Juden gibt. [5]

Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. (!) entstand eine jüdische Diaspora (z.B. babylonisches Exil 586-538). Dort schlugen den Juden immer wieder Haß und Feindschaft entgegen. Im Jahr 139 v. Chr. ließ Kaiser Claudius die Juden aus Rom vertreiben. Beispiele für Judenhass, der unmöglich christliche Wurzeln haben kann.

Argumentiert die Evangelische Akademie bewußt historisch fragwürdig, um zu unterstellen, die Plastik sollte bereits seit ihrem Anbringen als „judenfeindliches Schmährelief“ dienen und habe so zur Verbreitung von Judenfeindschaft und zu Exzessen gegen Juden beigetragen? Das wäre eine engstirnige Betrachtung mit ideologischen Scheuklappen, wider besseres Wissen. Denn es liegen kunsthistorische Untersuchungen und Forschungen vor, aus denen eine deutlich differenziertere Bewertung resultiert:
Dr. Mario Titze vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt stellt fest, dass „[…] alle bildlichen Darstellungen am Baukörper mittelalterlicher Kirchengebäude theologisch begründete, heilsgeschichtlich intendierte Bedeutung besitzen“. [6]

An gleicher Stelle führt er aus, der „[…]Verweis auf den theologisch begründeten Unterschied zwischen dem Christentum und dem die Nichtchristen repräsentierenden Judentum[…]“ sei „[…] seit dem 13. Jahrhundert auch zu einem wichtigen Thema künstlerischer Darstellung an Kirchenbauten[…]“ geworden. [7] Also nicht Antijudaismus und Judenhaß, wie die Evangelische Akademie behauptet, sondern die drastische Illustration der Gefahren des Unglaubens war der Anlaß für die Entstehung dieser Bildwerke – auch der Sau an der Wittenberger Stadtkirche.

Damit verbunden war die Mahnung, den rechten Weg des Glaubens nicht zu verlassen. Man muß sich natürlich die Mühe machen, wenigstens eine kleine Vorstellung der Lebens- und Gedankenwelt des Mittelalters zu erhalten: Bildung gab es längst nicht für jeden. Ein Leben ohne Ergebenheit in kirchliche Dogmen war nicht vorstellbar. Wer abwich, war von Höllenqualen bedroht. Die Erfindung des Buchdrucks stand noch bevor. Wie also den Gläubigen die Schrecken des Unglaubens vor Augen führen? Mit plastischen Bildwerken!

Nochmals M. Titze: „Die Botschaft dieser Bilder ist unzweideutig: Die Leugnung der göttlichen Natur Jesu ist Teufelswerk. Geleugnet wurde die Göttlichkeit Jesu ausschließlich von den Mitgliedern der jüdischen Religionsgemeinschaft.“ [8]
Unvorstellbar für die Menschen des Mittelalters, die Gottessohn-Eigenschaft Jesu zu leugnen. Die es taten, waren die Juden. Nur sie konnten in den Plastiken – so auch an der Stadtkirche zu Wittenberg – als personifizierte Illustration des Unglaubens dienen. „Juden waren – nicht als Juden, sondern als Nichtchristen – das Gegenteil zum ,guten Christen’“ (!). [9]

Dem friedlichen Zusammenleben tat das wenig Abbruch, worauf die Forschungsergebnisse von Dr. Insa Christiane Hennen hinweisen [10]. Ein Fazit: Die Sau war nicht ursprünglich ein in Stein gehauenes Zeichen des Antisemitismus, aber sie wurde im Laufe ihrer Geschichte antisemitisch mißbraucht. Das gilt seit dem Standortwechsel 1570 von der Nordost- an die Südostseite der Sakristei im Rahmen des Kirchenumbaus.

Ein Grund für eine Damnatio memoriae kann das nicht sein, auch wenn für heutige linke Denkonstruktivisten gilt: Denkmal weg, Erinnerung weg, Geschichte weg. Dem müssen wir uns widersetzen. Dafür ist die Geschichte zu vielfältig.

Da es mit dem Verschwindenlassen der Sau schwierig geworden ist, droht nun die Gefahr, ihren religionsgeschichtlichen Inhalt umzudeuten: von religiöser Mahnung in Judenhaß mit christlichen Wurzeln. Die Evangelische Akademie sieht es als ihre Aufgabe an, diese simple, ideologisch inspirierte Schmalspurdeutung durchzusetzen.

Dafür werden auch die Stadtführer instrumentalisiert. Am 13.12.2022 fand für sie ein Abendseminar mit dem Titel „Schmährelief und Judentum im Spiegel der Lutherschriften“ statt. Der Wind weht scharf von links: „Erarbeitet und durchgeführt wurde das Abendseminar von der Projektstelle „sus et iudaei“ an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Kooperation mit der Fachstelle für Politische Bildung und Entschwörung der Amadeu Antonio Stiftung. Wir danken der Fachstelle herzlich für ihre Unterstützung.“ So die Akademie auf ihrer Internetseite.

Darüber muß jeder Klardenker stolpern! Eine christliche Akademie, die eine Entente cordiale mit der linksextremen Blockwartstiftung der Stasi-Spitzeline Anetta Kahane eingeht, braucht wohl keinen Gott mehr. Setzen wir das Wort christlich also getrost in Anführungsstriche.

Wie ist dann aber der Umgang mit der eigenen Satzung zu bewerten? Deren §2 besagt in Abs. (1): „Der Dienst der Evangelischen Akademie ist Teil des Auftrages der Kirche, das Evangelium in dieser Zeit zu bezeugen.“ [11] Das gelingt sicher nicht durch Kumpanei mit Demokratiefeinden, auch wenn diese sich selbst als Erzengel der Demokratie aufspielen.

Immerhin ist man sich einig in ideologischen Märchenerzählungen über Geschichte und Gegenwart: Es war einmal eine antisemitische Sandsteinsau, und sie ist heute noch da. Sie dient den Judenfeinden aus der Mitte der Gesellschaft als unseliger Kraftquell und beleidigt alle Juden dieser Welt.
Wir müssen uns selbst den Auftrag geben, die Plastik vor der Deportation in die Unsichtbarkeit und vor der religions-geschichtlichen Dekonstruktion zu schützen. Schließlich soll sie nicht zur Lügensau werden.

Hoffen wir auf weitere kluge Entscheidungen des GKR. Und werfen wir den „christlichen“ Linksjakobinern Knüppel zwischen die Beine.

Helmut Poenicke

[1] MZ v. 07.09.2022, „Israelis melden sich zu Wort“
[2] Presseinformation der Evangelischen Stadtkirchengemeinde v. 26.10.2022
[3] Diskursbeitrag „Nicht von gestern…“, Ev. Akademie 26.08.2022
[4] in Die „Wittenberger Sau“; Kleine Hefte zur Denkmalpflege, Landesamt für Denkmalpflege Sa.-Anhalt 2020
[5] Delphine Horvilleur: “Überlegungen zur Frage des Antisemitismus” – Der ewige Antisemit | deutschlandfunkkultur.de
[6] Mario Titze: Die Sau an der Kirche; in Die „Wittenberger Sau“; Kleine Hefte zur Denkmalpflege, Landesamt für Denkmalpflege Sa.-Anhalt 2020
[7] ebd.
[8] ebd.
[9] ebd.; Hervorhebung Verf.
[10] Insa Christiane Hennen: Juden in Wittenberg und lutherische Judenfeindlichkeit; in Die „Wittenberger Sau“; Kleine Hefte zur Denkmalpflege,
Landesamt für Denkmalpflege Sa.-Anhalt 2020
[11] SATZUNG DER EVANGELISCHEN AKADEMIE SACHSEN-ANHALT e.V. Neufassung durch Beschluss der Mitgliederversammlung vom
27. Oktober 2014